„Die norwegische Küche lebt von wilden Zutaten“

Nevada Berg lebt in Norwegen und schreibt auf ihrem Blog The North Wild Kitchen und in Backbüchern über norwegisches Essen und ihr Leben in Norwegen. Im großen Hejsson-Interview verrät sie uns ihren besonderen Blick auf die Küche Norwegens und die Esskultur im Land der Fjorde.

 

Hejsson: Hej Nevada, was gab es gestern bei Dir zum Abendessen?

Nevada Berg: Burger, mein Sohn liebt Burger und er isst sie am liebsten mit norwegischem Brunost, einem süßlich-karamellartigen Käse, dazu Preiselbeermarmelade und Speck. Den Käse mag er sonst gar nicht, aber auf dem Burger findet er ihn super.

Du bist Amerikanerin und die norwegische Küche war für Dich total unbekannt, bis Du Deinen norwegischen Mann getroffen hast. Was war Deine erste kulinarische Begegnung mit Norwegen?

Als ich meinen norwegischen Mann kennengelernt habe, hat niemand über die nordische Küche gesprochen. Die ganze New Nordic Szene kam erst später auf und man musste damals richtig suchen, um herauszufinden, was die in Norwegen eigentlich essen. Aber ich ahnte schon, dass da mehr dahintersteckt, denn wenn wir die Familie meines Mannes in Norwegen besuchten, gab es viele Gerichte, die ich vorher so noch nie gegessen hatte. Zum Beispiel „Pinnekjøtt“, hausgemachte Lammrippen oder verschiedene Fischgerichte. Aber alle englischsprachigen Kochbücher, die ich über die norwegische Küche fand, lieferten fast nur Gerichte mit gekochten Kartoffeln, Karotten und dazu Fisch oder Fleisch. Dabei bietet die norwegische Küche so viel mehr.

Nämlich?

Bevor wir nach Norwegen zogen, habe ich von norwegischen Freunden immer gehört, dass sie angeln und jagen gehen, selbst Gemüse anbauen und in den Wäldern Beeren und Pilze pflücken. Und eines Tages erzählte mir eine Norwegerin, dass sie jedes Jahr körbeweise Pfifferlinge sammelt – und ich dachte nur: Was, bei Euch wachsen Pfifferlinge? Das war der Moment, wo mir klar wurde, dass da oben im Norden kulinarisch einiges mehr los ist, als nur Kartoffeln und Karotten mit Fleisch. Und als wir in Norwegen ankamen, war das eines der ersten Dinge, die ich machte: Ich ging in den Wald und kam mit einem riesigen Korb mit Pfifferlingen zurück.

Nevada Berg veröffentlicht auf ihrem Blog The North Wild Kitchen jede Menge leckere Rezepte aus Norwegen. Die besten Rezepte hat sie in einem Backbuch zusammengetragen: „Das Norwegen-Backbuch“ ist erschienen im Prestel Verlag. Mehr dazu findest du hier.

 

Welches norwegische Gericht kanntest Du vorher noch gar nicht?

„Rakfisk“, fermentierter Fisch, hatte ich vorher nie probiert. Das ist eine typisch norwegische Delikatesse und das Besondere daran ist die spezielle Technik, mit der der Fisch eingelegt wird. Er schmeckt zart und leicht salzig, oft isst man nur etwas Sourcream und geschnittene Zwiebeln dazu, gerne auch mit etwas Knäckebrot und Butter oder kleinen, gekochten Kartoffeln. Dann gibt es hier einzigartige Käsesorten, wie den schon genannten Brunost. Und auch ziemlich verrückte Gerichte, je nach Region. Zum Beispiel „Smalahove“ – ein gedämpfter Schafskopf. Das ist schon sehr speziell.

Haferkeks-Sandwiches mit, wie sollte es anders sein: „Trollcremefüllung“.

 

Dabei hast Du schon in vielen verschiedenen Ländern gelebt und kulinarisch einiges ausprobiert…

Ja, ich habe London studiert und in Mosambik und Italien gelebt. Egal, wo ich war, Essen hat mich immer fasziniert, ich habe Kochkurse besucht, bei Freunden und Nachbarn auf den Tisch geschaut und mich inspirieren lassen. Ich musste auch mein Kochverhalten immer wieder anpassen, weil nicht in allen Ländern immer alles verfügbar ist. Auch in meiner Kindheit gab es ganz verschiedene Gerichte: Meine Mutter war eine tolle Köchin und die USA ist kulinarisch multikulturell, daher gab es bei uns mal chinesisch, mal mexikanisch oder sogar philippinisch. Ich bin mit einer enormen Vielfalt an Geschmäckern aufgewachsen.

Und jetzt lebst Du in einem kleinen Dorf in Norwegen…

Es gibt hier 14 000 Einwohner und einen Supermarkt, bis Oslo sind es etwa zwei Stunden. Wir sind hier mitten in den Bergen, in einem Tal. Das war schon ein Schritt, denn ich bin in Salt Lake City geboren und habe immer in großen Städten gelebt. Aber die Berge habe ich schon immer gemocht. Und wenn man schon so viel rumgekommen ist, dann ist es auch gut, jetzt hier angekommen zu sein. Städte sind toll, aber hier ist nun mein Zuhause.

Wie es sich anfühlt, in den Weiten Norwegens zu leben, weiß Nevada Berg. Und das sieht man ihrem Norwegen-Backbuch auch an – und man schmeckt es in ihren Rezepten.

 

Regionale, norwegische Zutaten spielen in Deinen Rezepten mittlerweile die Hauptrolle. Welche hast Du in Norwegen ganz neu entdeckt?

Das sind vor allem die wilden Zutaten, die man je nach Saison in der Natur findet: Hier wachsen Moltebeeren, Preiselbeeren, wilde Blaubeeren und unzählige andere essbare Dinge draußen, man muss nur vor die Türe gehen. Außerdem gibt es überall im Land kleine Manufakturen, die besondere Dinge herstellen, sei es Käse, Cider oder Fischdelikatessen.

Auf welche Zutat möchtest Du nicht mehr verzichten?

Das kommt auf die Jahreszeit drauf an, aber ich mag sehr gerne Wacholderbeeren, die schmecken erdig und tannig und geben jedem Eintopf eine ganz besondere Note. Ich gebe sie auch sehr gerne in Desserts, weil sie auch in süße Speisen einen fantastischen Geschmack zaubern. Oder ich backe Wacholderbeeren-Kuchen. Der Geschmack erdet einen so richtig.

Wacholderschnecken zaubern einen ungewöhnlichen Geschmack der wilden Natur auf die Zunge.

 

Hast Du ein norwegisches Lieblingsessen?

Das ist fast unmöglich zu sagen. Aber im Frühsommer kann man hier überall Fichtenspitzen ernten, die liebe ich, egal ob als Sirup oder in Gerichten. Und ich mag auch sehr die Rhabarber-Saison. Und Fischsuppen. Im September, wenn es kühler wird, stehe ich besonders auf wärmende Lammgerichte und Kohleintöpfe.

Und wenn der lange Winter kommt? 

Oktober ist Ende der Erntezeit, dann gibt es hier viele Äpfel und Norwegen ist bekannt für seinen Cider, den norwegischen Champagner. Außerdem ist dann Pilzsaison und es gibt viel Wurzelgemüse. Der lange Winter ist auch der Grund, warum es in Norwegen uralte Traditionen gibt, um Nahrungsmittel haltbar zu machen. Das ist unglaublich und war ganz neu für mich. Aber Lebensmittel einkochen, einmachen oder einfrieren ist hier im Norden überlebenswichtig. Ab Februar beginnt dann die Fischsaison, da gibt es frischen Kabeljau und Meeresfrüchte.

Wie würdest Du die norwegische Küche und die Esskultur beschreiben?

Sie ist einfacher, man nimmt hier nicht so viele Zutaten, würzt eher dezent. Es ist fantastisch, dass man meist wirklich nicht viel braucht. Beispielsweise Torten: In den USA sind die immer super aufwändig, aber hier in Norwegen bestehen Torten meist nur aus einem fluffigen Teig, Beeren und Sahne. Das ist so simpel und so gut. Norwegen ist aber auch ein Land, in dem die Menschen früher körperlich hart gearbeitet haben und Essen vor allem sättigend und wärmend sein musste. Das merkt man vielen Gerichten hier immer noch an. Aber natürlich lieben die Norweger auch ihre Pizza und machen Freitags die so beliebten Taco-Abende.

Eines von Nevadas Lieblingsrezepten: Daher heißt dieses fluffige Ding auch „Der weltbeste Kuchen“. Der übrigens typisch norwegische Kuchenzutaten enthält: Rührteig, Sahne und Baiser.

 

Wird die norwegische Küche unterschätzt?

Ja, absolut. Wir wissen so viel über die italienische Küche, aber man weiß fast nichts über die norwegische Esskultur. Ihr haftet immer noch etwas Geheimnisvolles an. In den meisten Kochbüchern wird auch meist nur eine Seite der norwegischen Küche gezeigt. Aber es geht beim Kochen und Essen ja um viel mehr. Zum Beispiel, warum es in Norwegen überhaupt fermentierten Fisch gibt, das hat ja ganz viel mit Geschichte und Kultur zu tun. Seitdem ich hier lebe, verstehe ich das alles viel besser. Die Norweger sind total naturverbunden, lieben es, draußen zu sein, behandeln Natur und Tiere mit Wertschätzung und man nimmt sich hier viel mehr Zeit.

Inwiefern hat sich Deine Art zu Kochen verändert, seitdem Du in Norwegen lebst?

Rausgehen, seine Zutaten suchen und sie gleich draußen zuzubereiten, hat meine Augen geöffnet, für eine andere Art zu kochen. Heute geht es für mich viel mehr um das, was wirklich auf dem Teller landet, woher die Zutaten kommen, wie sie hergestellt wurden und warum. Und ich lege mehr Wert auf Saisonalität. Außerdem liebe ich es, das alles mit anderen zu teilen. Deshalb schreibe ich Kochbücher, gebe Kochkurse und habe meinen Blog North Wild Kitchen gegründet. Ich will einfache Rezepte kochen, die gut schmecken und die jeder nachkochen kann. Und natürlich will ich auch selbst gut essen, am liebsten mit meiner Familie, mit Freunden. Wenn man etwas selbstgekochtes auf den Tisch stellt, macht das alle satt und glücklich. Kochen ist ein echter Liebesbeweis.

Das Norwegen-Backbuch ist 2023 im Prestel Verlag erschienen und bietet eine fantastische Sammlung süßer und herzhafter Rezepte aus dem hohen Norden.

 

Fotos: Nevada Berg (4); Hejsson (2)

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