Im Norden sind Kita-Tage länger

Bei schwedischen Kindergärten denkt man schnell an ein Bullerbü-Idyll. Für die Kinder mag es das sein – doch für die Fachkräfte ist es auch eine Herausforderung.

Ein kurviger Wiesenweg führt hinauf zur Baskemölla Barnstuga, einem Waldorfkindergarten an der Südküste Schwedens, wenige Kilometer vom Hafenstädtchen Simrishamn entfernt. Barnstuga bedeutet Kinderhäuschen und so sieht es auch aus: Himmelblaues Gartentor, niedriges Dach, brombeerumrankte Holzfassade. Ein kleines, verwinkeltes Haus inmitten eines blühenden Gartens. Rund 20 Kinder im Alter zwischen einem und sieben Jahren kommen jeden Tag hierher.

Die Baskemöller Barnstuga liegt an der Südküste Schwedens
Die Baskemöller Barnstuga liegt an der Südküste Schwedens
Bis zu zwölf Stunden müssen Kitas täglich geöffnet sein

Vielleicht ist es die Naturverbundenheit der Schweden, die den Waldorfkindergärten großen Zulauf beschert. Mehr als 80 Einrichtungen gibt es mittlerweile im ganzen Land, oft gegründet von Elterninitiativen, wie hier in Baskemölla. „Dagis“ nennen die Schweden ihre Kitas. Der Ort, an dem man seinen „Dag“, den Tag, verbringt. Und diese können in Schweden lang sein – für Kinder, aber auch für die Fachkräfte: Bis zu zwölf Stunden müssen Kitas täglich geöffnet haben. So will es das Gesetz. Das gilt auch für freie Einrichtungen wie Waldorfkindergärten.
Maßgeblich ist der Betreuungsbedarf der Eltern: „Die Eltern sagen uns, wann sie die Kinder bringen und holen, dann müssen wir das so einrichten“ erklärt Sarafelicia Ängmo, die Leiterin der Baskemölla Barnstuga. Für sie und ihre Kolleginnen bedeutet das lange Arbeitstage, die frühmorgens beginnen und erst enden, wenn die letzten Kinder abends abgeholt werden. Zudem arbeiten fast alle Waldorfkindergärten inklusiv, was besonders viel Zeit und Aufmerksamkeit erfordert. Da braucht es genaue Absprachen unter den Kollegen und flexible Arbeitspläne. Auch in den Ferien, denn einfach zumachen geht in Schweden nicht: Wenn Eltern ihre Kinder nicht selbst betreuen können, müssen Kitas auch in den Ferien geöffnet bleiben. Auch das ist gesetzlich vorgegeben.

Die Kinder pflanzen und ernten selbst
Die Kinder pflanzen und ernten selbst.
Für die Eltern sind die langen Öffnungszeiten eine Entlastung

Damit will die Regierung Eltern und besonders Alleinerziehende entlasten.
Drei bis vier Kinder seien in diesem Sommer während der Ferienzeit gekommen, berichtet Britta Dietsche. Sie ist seit zwei Jahren als Erzieherin in Baskemölla und macht nebenher eine Art waldorfpädagogischen Grundkurs in Helsingborg, während sie auf einen Platz an der Waldorflärarhögskolan, dem waldorfpädagogischen Ausbildungszentrum in Stockholm, hofft. Die Aufnahmekriterien dort sind streng, es gibt mehr Bewerber als freie Plätze.

Erzieherin Britta Dietsche
Erzieherin Britta Dietsche

Dennoch leidet Schweden unter Fachkräftemangel im Elementarbereich, viele kommunale Kindergärten sind überfüllt, es gibt zu wenig Personal. Denn auch wenn das Durchschnittseinkommen von schwedischen Erzieherinnen mit etwa 2.900 Euro im Monat fast so hoch ist, wie das einer Grundschullehrkraft, entscheiden sich nur wenige für den Erzieherberuf, der manchmal wie Schichtarbeit läuft. Einige Kitas, sogenannte „Nattis“, haben sogar nachts geöffnet. Da bleibt nicht viel Spielraum, wenn eine Fachkraft ausfällt.

Im Garten wird gebuddelt und gebaut
Im Garten wird gebuddelt und gebaut.
Der schwedische Staat finanziert auch die private Kitas

Finanziert wird das alles durch den schwedischen Staat. Die Region Simrishamn bezuschusst jeden Kitaplatz, je nach Alter der Kinder, mit 770 bis 970 Euro im Monat, und zwar unabhängig davon, ob es eine kommunale oder freie Einrichtung ist.
Auf die Eltern entfällt nur ein geringer Beitrag, abhängig von der Höhe ihres Einkommens sowie der Anzahl der Kinder: Eine Familie mit zwei Kindern und einem Monatseinkommen von etwa 2.600 Euro beispielsweise, zahlt für das Unterdreijährige rund 80 und für das überdreijährige Kind rund 35 Euro im Monat.
Die Höhe des Elternbeitrages variiert auch je nach Region. In Simrishamn liegt der Höchstsatz für Unterdreijährige bei 130 Euro im Monat, mehr müssen Eltern nicht berappen und das Drittgeborene darf die Kita ohnehin kostenlos besuchen.
Für Arbeitslose oder Eltern in Elternzeit gibt es zudem Sonderregelungen, ab dem dritten Lebensjahr sind 15 Stunden in der Woche komplett kostenlos.

Für jedes Wetter stehen Schuhe bereit
Auch bei Regen geht’s raus.
Bei Wind und Wetter draußen sein

Nach schwedischen Verständnis sollen Eltern frei entscheiden können, in welche Art der Einrichtung sie ihre Kinder schicken. „Einige Kindergärten möchten ihren Angestellten mehr Urlaubstage gönnen und investieren das Geld dann in Ersatzkräfte”, erklärt Geseke Lundgren vom Bundesverband der Waldorfkindergärten in Schweden. Etwa vier bis fünf Wochen Urlaub hätten schwedische Erzieherinnen im Jahr. „In manchen Waldorfkindergärten hat man sich auch auf etwas geringere Gehälter geeinigt, um mehr Geld für andere Dinge zu haben, wie beispielsweise Eurytmie, biodynamisches Essen oder Fortbildungen,” erklärt Geseke Lundgren.
So gehört auch in der Barnstuga Baskemölla eine Köchin zum Team, die jeden Tag mit biologischen Zutaten frisch kocht, vieles aus dem eigenen Garten.
Draußen verbrächten alle die meiste Zeit, auch bei Wind und Wetter, erzählt Britta Dietsche. Rund um die Barnstuga warten jetzt im Sommer Beerenbüsche, frisches Gemüse, Kräuter und blühender Lavendel auf die Kinder, mit viel Platz zum Verstecken, Toben, Träumen und Werkeln. Es gibt Hasen, einen Hund und Hühner. In dieser idyllischen Umgebung zu arbeiten, entschädigt auch für lange Arbeitstage, sagt Britta Dietsche. Und in diesem Moment kommt doch ein wenig Büllerbü-Flair auf.

 

 

 

 

Fotos: Hejsson

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